Acrylamid – ein altbekanntes Risiko aus heutiger Sicht

Fasching steht vor der Tür – und damit erfreut sich Fett- bzw. Siedegebäck wieder großer Beliebtheit. Ob Mutzenmandeln oder Berliner, gefüllt oder ungefüllt – sie alle werden besonders in dieser Zeit mit Genuss verzehrt. „Des einen Freud, des andern Leid“ – nicht nur, dass diese Traditionsgebäcke wahre Kalorienbomben sind, so kann darin, wie in anderen stärkehaltigen, hoch erhitzten Lebensmitteln, Acrylamid stecken.

Bereits vor Jahren wurde öffentlichkeitswirksam vor gesundheitlichen Risiken gewarnt und ein Minimierungskonzept auf den Weg gebracht. Dennoch finden sich auch heute noch erhöhte Mengen von der chemischen Substanz in Lebensmitteln. Wie ist die Gesundheitsgefahr aktuell einzuschätzen?

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Seit den 50er Jahren ist Acrylamid die Ausgangssubstanz für das in der Kunststoff- und Verpackungsindustrie vielseitig verwendbare „Polyacrylamid“. Dieser Kunststoff erhöht die Reißfestigkeit von Papier oder dient bei der Wasser- und Erzaufbereitung als Flockungsmittel. Polyacrylamid wird ferner als Bindemittel in Kosmetikartikeln wie zum Beispiel Bodylotions eingesetzt oder wird bei der Herstellung von Lacken und Dispersionsfarben verwendet.
Erfahrungen aus dem Bereich des Arbeitsschutzes in der industriellen Herstellung machten die gesundheitliche Bedenklichkeit von Acrylamid bekannt. Bei direktem Kontakt mit der Chemikalie kommt es zu Augen- und Hautreizungen und die Haut wird für andere Stoffe sensibilisiert. In großem Mengen kann Acrylamid Nervenschäden verursachen. Wohlgemerkt: solche Symptome entstanden im Direktkontakt mit dem Mittel in einer derart hohen Dosis, wie sie über eine Nahrungsaufnahme niemals zustande kommen kann.
Schwedische Wissenschaftler staunten nicht schlecht, als sie 1997 Industriearbeiter, die einer hohen Acrylamidbelastung ausgesetzt waren, auf die toxische Substanz untersuchten. Denn auch in der ‚unbelasteten’ Kontrollgruppe konnte der Stoff in den Blutwerten nachgewiesen werden.
Dies führte zu der Erkenntnis, dass Acrylamid auch über die Nahrung aufgenommen werden muss.
5 Jahre später im Jahr 2002 konnten die schwedischen Wissenschaftler den entsprechenden Nachweis in einer Vielzahl von Lebensmitteln erbringen und veröffentlichen.


Was ist Acrylamid und wie kommt es in unser Essen?

Acrylamid entsteht beim Backen, Braten, Frittieren und Rösten von kohlenhydratreichen Produkten wie Kartoffeln oder Getreide. Der Stoff bildet sich, wenn Zucker und die Aminosäure Asparagin bei Temperaturen über 120 Grad Celsius miteinander reagieren. Dann findet die sogenannte „Maillard-Reaktion" statt, die Einfluss auf Farbe und Geschmack der Lebensmittel nimmt. Neben der Temperatur spielen auch die Erhitzungsdauer, die Lebensmittelfeuchtigkeit, die Art des Bratfettes sowie Zusatzstoffe (z. B. E900 oder Schaumverhüter Dimethylpolysiloxan) bei der Maillard-Reaktion eine Rolle.
Darüber hinaus ist eine zweite Aufnahmequelle von Bedeutung: Durch den Konsum von Tabakprodukten wird Acrylamid aufgenommen.

Im Tabakrauch sind die Gehalte zwar deutlich höher, aber auch die in Lebensmitteln befindlichen Acrylamid-Anteile sind nicht zu verachten. Der höchste Gehalt befindet sich in Kaffeepulver und Kaffeeersatzprodukten, gefolgt von Kartoffelsnackprodukten und anderen frittierten Kartoffelerzeugnissen sowie Gebäcken und Knäckebrot. Im Öko-Test 2021 wurde Kaffee auf Schadstoffe untersucht und im Ergebnis wiesen 65 Prozent einen erhöhten Acrylamid-Gehalt auf. Öko-Test kritisiert immer wieder zu hohe Gehalte in Lebensmitteln, unter anderem in Brotbackmischungen, Knäckebrot oder in Reiswaffeln, die besonders bei Kindern beliebt sind. Auch in Gemüsechips fand das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) erhöhte Acrylamid-Werte: „Mehr als die Hälfte der 77 untersuchten Gemüsechips-Proben (51,9 Prozent) überschritt zum Teil deutlich den von Kartoffelchips abgeleiteten Richtwert von 750 µg/kg.“ Den Grund sehen die Experten darin, dass die Gemüsearten, die für die Chips benutzt wurden, im Gegensatz zu Kartoffeln vergleichsweise „süß“ sind und deren Zucker zur Entstehung von Acrylamid beitragen.


Wie schädlich ist Acrylamid in Lebensmitteln?

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) teilt mit: „Acrylamid ruft in vitro und im Tierversuch Mutationen hervor. ... Studien am Tier zur Kanzerogenität haben gezeigt, dass Acrylamid krebserzeugend wirkt; es erhöht die Häufigkeit des Auftretens von Tumoren in mehreren Organen. Daher ist Acrylamid als mutagener und kanzerogener Stoff mit Bedeutung für den Menschen eingestuft.“ (2015, Informationen hier, im Internet unter bfr.bund.de, Zugriff 08.02.2024)
Die von Acrylamid ausgehende Krebsgefahr kann bislang nicht abschließend bewertet werden. Während Acrylamid im Tierversuch eindeutig kanzerogen und erbgutverändernd wirkt, sind die Studienergebnisse mit Menschen uneinheitlich. Laut Europäischer Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) ist ein Zusammenhang zwischen der Aufnahme von Acrylamid über die Nahrung und einer Krebserkrankung beim Menschen weder anzunehmen noch auszuschließen.
Das Risiko einer gesundheitsschädlichen Wirkung wächst, je mehr Acrylamid zugeführt wird. Deshalb sollte so wenig wie möglich aufgenommen werden. Besonders bei Kindern ist Vorsicht geboten. Im Verhältnis zu ihrem Körpergewicht essen sie mehr als Erwachsene und können deshalb schnell höhere Mengen an Acrylamid konsumieren. Daher sollten Kinder belastete Produkte noch seltener verzehren.
Die Verbraucherzentralen fordern entsprechend: „Die Acrylamid-Belastung muss weiter verringert werden, vor allem bei hoch belasteten Warengruppen. Nach jahrelanger Praxis mit deutschen Signalwerten und europäischen Richtwerten in entsprechenden Minimierungssystemen, ist es überfällig, verbindliche Höchstmengen festzulegen, bei deren Überschreiten die betroffenen Lebensmittel nicht mehr verkauft werden dürfen. Darüber hinaus sollen Lebensmittel-Hersteller gewissenhaft Vorkehrungen treffen, um den Gehalt zu reduzieren und Minimierungsmaßnahmen umzusetzen.“ (2023, Informationen hier, im Internet unter verbraucherzentrale.de, Zugriff 06.02.2024)


Wie kann Acrylamid in unserem Essen vermindert werden?

Hierzulande gibt es seit 2002 Bestrebungen seitens der Politik und Lebensmittelwirtschaft, Acrylamid-Gehalte in Lebensmitteln im Rahmen eines Minimierungskonzeptes zu verringern. Europaweit wurden seit 2011 innerhalb dieses Konzeptes verschiedene Warengruppen, die mit Acrylamid belastet sind, erfasst und überwacht. Betroffene Hersteller konnten durch Anpassung von Rezepturen und Herstellungsprozessen (z. B. niedrigere Temperaturen) die Gehalte in vielen Warengruppen reduzieren. Dadurch konnten die sogenannten Signalwerte (festgelegte Richtwerte) mit jeder neuen Datenberechnung verringert werden. Eine Übersicht ist beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) zu finden: Übersicht über die Signalwerte von der 1. bis 8. Berechnung (im Internet unter bvl.bund.de, Zugriff 06.02.2024).

Maßnahmen, um den Acrylamid-Gehalt in Lebensmitteln zu senken, sind seit 2018 durch eine neue EU-Verordnung (EU (VO) 2017/2158) rechtsverbindlich. Diese Verordnung nimmt Hersteller und Kleinbetriebe wie Imbisse, Backstuben und Restaurants, die Lebensmittel verarbeiten, verstärkt in die Pflicht. Sie sind dabei angehalten, die in der Verordnung festgelegten Richtwerte nicht zu überschreiten. Eine Überprüfung ist alle 3 Jahre vorgesehen. Derzeit wird über eine Aktualisierung und Erweiterung der EU-Richtwerte sowie die mögliche Einführung von Höchstgehalten im Rahmen der Überprüfung diskutiert, womit den Forderungen der Verbraucherzentralen Rechnung getragen werden würde.

Zurzeit liegt die durchschnittliche, tägliche Acrylamid-Aufnahme von Verbrauchern in Europa bei 0,3-0,8 µg für jedes Kilogramm Körpergewicht. Allerdings können Kinder und Jugendliche bei ungünstigen Ernährungsgewohnheiten (z. B. häufiger Verzehr von Pommes frites, Chips) sehr schnell Werte erreichen, die deutlich darüber liegen.
Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) gibt eine tägliche Aufnahme über die Nahrung von 0,5-1 µg/kg Körpergewicht und Tag an. Auf der Internetseite des BfR steht ein Acrylamid-Rechner zur Verfügung, mit dem die tägliche Acrylamid-Aufnahme in Mikrogramm (µg) je Kilogramm Körpergewicht abgeschätzt werden kann: Acrylamid.Rechner (im Internet unter bfr.bund.de, Zugriff 06.02.2024).

Im Hinblick auf Dauer und Temperatur der Nahrungszubereitung sowie auf die Zubereitungsart kann ein Jeder die nahrungsbedingte Aufnahme von Acrylamid auf ein Minimum begrenzen. Bei Temperaturen unterhalb von 180 Grad entstehen deutlich geringere Mengen an Acrylamid als bei höheren Temperaturen. Des Weiteren sollten die Zubereitungsempfehlungen (insbesondere bezüglich Dauer und Temperatur des Erhitzungsprozesses) auf den Verpackungen beachtet werden.

Grundsätzlich gilt die Faustregel: „Vergolden statt verkohlen“, denn je dunkler das Lebensmittel zubereitet wird, desto mehr Acrylamid entsteht.
Deshalb:
  • Pommes frites, Kroketten u. ä. nicht länger als 3 ½ Minuten bei 175 Grad Celsius frittieren. Große Bratkartoffeln oder Pommes frites sind günstiger als kleine, denn Acrylamid bildet sich an den Oberflächen.
  • Im Backofen sollten Temperaturen von 180 Grad Celsius (Umluft) bzw. 200 Grad Celsius (Ober- und Unterhitze) möglichst nicht überschritten werden. Die Verwendung von Backpapier mindert die Kontaktbräune und somit auch die Acrylamidbildung.
  • Plätzchen sollten bei höchstens 170 Grad Celsius (Umluft) und höchstens 190 Grad Celsius (Ober- und Unterhitze) gebacken werden.
  • Und immer gilt: Backen, Braten, Frittieren - so lange wie notwendig und so kurz wie möglich.

Weiterführende praktische Tipps für die Nahrungszubereitung sind unter folgendem Link abrufbar: Acrylamid - Problematischer Stoff in Lebensmitteln (im Internet unter verbraucherzentrale.de, Zugriff 06.02.2024)

Da ein Zusammenhang zwischen dem Verzehr von acrylamidhaltigen Lebensmitteln und einer Krebserkrankung weder angenommen noch ausgeschlossen werden kann, sollten hochbelastete Lebensmittel vermieden oder nur selten verzehrt werden. Durch eine möglichst ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung kann die teilweise unvermeidliche nahrungsbedingte Aufnahme unerwünschter Stoffe am ehesten auf ein Minimum reduziert werden.


Rezepte, um traditionelles Faschingsgebäck selbst herzustellen, sind unter folgenden Links zu finden:
Apfelkrapfen
Fettgebackenes zu Fastnacht


Quellen und weiterführende Informationen


Kerstin.Bruser@dlr.rlp.de     www.fze.rlp.de/ernaehrungsberatung